„We are Anonymous. We are Legion. We do not forgive. We do not forget. Expect us.“
Sie blockieren und hacken Websites und Server, sie kämpfen für eine freie Meinungsäußerung im Internet: Das Hacker-Kollektiv Anonymous. Doch wer steckt hinter der Guy-Fawkes-Maske, dem Markenzeichen des Kollektivs? Und auf wessen Seite stehen sie wirklich?
Im März 2022 erklärte Anonymous der russischen Regierung den Cyber-Krieg. Laut eigenen Angaben hackte das Kollektiv seitdem Websites wie die des Kremls, die der Moskauer Börse oder die des Erdgasförderunternehmens Gazprom und machte in Kommentarspalten der Google-Bewertungen von russischen Restaurants auf den Krieg in der Ukraine aufmerksam. Damit stellt sich das Kollektiv mit der „Op Russia“ auf die ukrainische Seite.
Anonymous-Mitglieder bezeichnen sich selbst als „Hacktivisten“. Sie verstehen ihre eigenen Aktionen also als Beitrag zur Förderung der Menschenrechte. Doch sollte man wirklich einem Hacker-Kollektiv vertrauen, dessen Mitglieder unbekannt sind?
In dem Podcast „Legion: Hacking Anonymous“ von rbb, NDR und Undone gehen Khesrau Bheroz und sein Team dieser Frage nach. Dabei fanden sie heraus, dass Anonymous ein dezentrales und verselbstständigtes Gefüge ist. Das bedeutet: Jeder kann Anonymous sein. In der Vergangenheit setzten sich sowohl Einzelpersonen als auch Institutionen oder sogar der amerikanische Geheimdienst die Maske auf. Verschiedenste Menschen auf der ganzen Welt verteilt bilden so gemeinsam das Hacker-Kollektiv. Die meisten Mitglieder sind sich einander fremd. Das Einzige, was sie zusammenhält, ist der vorgestellte Gedanke einer Gemeinschaft, auch „Imagined Community“ genannt.
Die Brand Awareness, d.h. der Bekanntheitsgrad der „Marke“, die der Titel Anonymous mit sich bringt, darf dabei nicht unterschätzt werden. Denn die Tatsache, dass jeder Anonymous sein kann, birgt gleichzeitig die Chance für Menschen, die keine guten Ziele verfolgen, den Einfluss von Anonymous zu nutzen, um die Demokratie zu gefährden. Bislang protestierte Anonymous digital zum Beispiel gegen die Menschenrechtsverletzungen im Iran oder führte einen Angriff auf den Koch und Corona-Verschwörungstheoretiker Attila Hiltmann durch. Anonymous stellt sich also auf Seiten der Demokratie. Doch die Macht des Hacking besteht darin, unsichtbar zu sein und ein System aus der Entfernung heraus zu beeinflussen oder gar auszuschalten. Autoritäre Systeme oder Terroristen können sich genau diese „Superkraft“ zu Nutze machen.
Heutzutage zeigen zum Beispiel die Corona-Krise oder die Energiekrise, was es bedeutet, wenn Lieferketten unterbrochen werden oder kritische Infrastruktur verletzt wird. In einer Welt, die mit jedem Tag vernetzter wird, spielen Cyberangriffe eine immer größere Rolle — und damit auch die Cybersicherheit.
Ein Beispiel: In Belarus attackierten Hacker das staatliche Eisenbahnunternehmen und verschlüsselten Systeme, um dieses lahmzulegen. Sie verfolgten dabei das Ziel, den russischen Truppenaufmarsch zu behindern und Züge, die Fahrzeuge und Waffen lieferten, aufzuhalten. Diese aktivistische Aktion wurde zwar von den sogenannten „Cyber-Partisanen“ geleitet, die sich als Regime-Kritiker definieren, doch was passiert, wenn solche Angriffe beginnen, die Demokratie zu gefährden?
Letztendlich liegt es nicht in unserer Kraft, die Art und Weise, wie Anonymous seine Macht nutzt, zu beeinflussen. Das Kollektiv bleibt seinem „Hacktivismus“-Kurs bislang treu und bietet neue Möglichkeiten des Protests. Damit dies weiterhin so bleiben kann, darf demokratiefeindlichen Hackern aber auch keine Möglichkeit für einen Cyberangriff gegeben werden. Wie ein solcher Angriff aussehen kann, zeigt Anonymous. Vielleicht hilft uns das Kollektiv so auch, den Wert von Cybersicherheit in Politik und Wirtschaft besser zu verstehen.