,,Eine labile, politische Grundeinstellung zur DDR“- Eine Gesprächsrunde zum 30. Tag der Deutschen Einheit mit Herrn Wenigerkind, Frau Kramer und Herrn Meentzen

Am 03. Oktober 2020 jährte sich der Tag der deutschen Einheit und somit der Tag der Wiedervereinigung zum 30. Mal. Da der 03. Oktober in diesem Jahr aber auf einen Samstag fiel, fand eine Veranstaltung zu diesem Thema bei uns an der Schule bereits am 01. Oktober für die drei oberen Jahrgänge statt.

In den Geschichtsstunden zuvor wurde uns bereits erzählt, dass Herr Wenigerkind, der aus dem Osten nach Bremen geflohen war, vorbeikommen würde. Gemeinsam mit Herrn Meentzen, der schon immer in Bremen wohnt, und Frau Kramer, die bis 2004 im Osten gelebt hat, tauschten sich die Zeitzeugen in dem von Frau Rasche moderierten Gespräch über ihre Jugend im geteilten Deutschland sowie den Mauerfall und die Nachwendezeit aus.

Zuerst ging es darum, wo und wie die drei den Tag des Mauerfalls erlebt haben. Herr Wenigerkind hatte an besagtem Tag Geburtstag. Gerade mal 5 Tage zuvor war er aus dem Osten, genauer gesagt Thüringen, über die Prager Botschaft in den Westen zu einer Tante nach Bremen geflohen. Für ihn war es zuerst fast unmöglich zu realisieren, dass die Mauer gefallen war. Frau Kramer schilderte, dass sie gerade im Studentenwohnheim gewesen war. Plötzlich kam jemand ins Zimmer und rief, dass die Mauer offen sei. Das weitere Geschehen hatten sie und ihre Mitstudenten dann in Ermangelung eines Fernsehers über ein Radio verfolgt. In den Tagen danach sei ein normaler Universitätsalltag erstmal nicht möglich gewesen, da sich Lehrpläne und Verordnungen ständig änderten. Zudem sei die Anzahl an Studierenden in den einzelnen Seminargruppen über die Zeit immer kleiner geworden, da sich viele auf in den Westen gemacht hatten. Herr Meentzen war zu dem Zeitpunkt Wehrdienstleistender und gerade bei seinen Eltern; er war ebenfalls von der Nachricht des Mauerfalls überrascht.

Ein Deutschland, das nicht mehr geteilt ist, konnte sich alle drei zuerst gar nicht vorstellen. Frau Kramer fand zunächst alles unwirklich und hatte erstmal keine wirklichen Erwartungen daran, wie das Leben in einem vereinten Deutschland werden könnte. Ihr sei allerdings klar gewesen, dass das Leben im Osten jetzt nicht plötzlich so werden würde, wie im Westen. Dass sie nun die Möglichkeit haben würden nach London zu fahren, realisierte sie aber schnell.

Herr Wenigerkind hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was er erwartete, und musste erstmal mit der neuen Situation klarkommen. Einer der ersten Wünsche, den er sich erfüllte, war der, sich modisch zu kleiden. Als er sich dann allerdings neue Schuhe der Marke „Nike“ kaufen wollte, war er mit der Auswahl an unterschiedlichen Modellen überfordert.

Herr Meentzen befand sich in einer komfortablen Position, da ihm klar war, dass sich sein Leben in der „alten“ Bundesrepublik nicht großartig ändern würde, im Gegensatz zu den Leben fast aller DDR-Bürger.

Als es um die Armee ging, in der Herr Meentzen und Herr Wenigerkind ungefähr zur gleichen Zeit, nur eben auf verschiedenen Seiten, dienten, musste ich ein wenig schmunzeln, da Herr Wenigerkind die Bundeswehr in der BRD im Vergleich zur NVA in der DDR als Pfadfinder bezeichnete. Ein Unterschied zwischen NVA und Bundeswehr war, dass man bei der Bundeswehr meistens nah am Wohnort stationiert war und öfters mal nach Hause konnte, während man bei der NVA weiter weg stationiert war und es auch mal sein konnte, dass man ein halbes Jahr lang nicht zuhause war. Herr Wenigerkind wollte eigentlich Fallschrimspringer bei der Armee sein, durfte dies allerdings nicht, da er Westverwandtschaft hatte. Herr Meentzen und Herr Wenigerkind waren sich beide ziemlich einig darüber, dass sie im Nachhinein nicht wirklich wussten, warum sie überhaupt bei der Armee gewesen waren, da sie beide niemals auf andere schießen wollen/können hätten. Frau Kramer fügte dann noch hinzu, dass ihr Vater nur bei der Armee gewesen sei, um einen Krieg quasi zu verhindern und das System von innen zu verändern.

Da Herr Wenigerkind nach seinen ersten beiden, gescheiterten Fluchtversuchen relativ gut weggekommen war, dachten viele Leute aus seinem Umfeld, dass er bei der Stasi gewesen sei, was jedoch nicht der Fall war. Als Herr Wenigerkind irgendwann Einsicht in seine Akte bekam, die er auch mitgebracht hatte, konnte er darin unter anderem lesen, dass ihm eine ,,labile politische Grundeinstellung zur DDR“ zugeschrieben wurde. Somit konnte er im Nachhinein u.a. auf einem Klassentreffen beweisen, dass er nicht bei der Stasi gewesen war.

Der Vater von Frau Kramer habe, vor allem dadurch dass er bei der Armee war, eine relativ dicke Stasi Akte gehabt. Sie selbst hat allerdings nie Einsicht in ihre Akte beantragt, da ihr die Überwachung einfach bewusst gewesen war.

Ich selbst fand die Veranstaltung/Gesprächsrunde sehr interessant und es war cool, mal einen direkten Vergleich zwischen mehr oder weniger gleichaltrigen Zeitzeugen aus DDR und BRD zu haben, da ich das durch Erzählungen von z.B. Familienmitgliedern bisher nicht wirklich hatte und mir generell die Sicht aus der ehemaligen DDR primär bekannt war.

Da der Redeanteil von Herrn Meentzen im Vergleich zu denen der beiden anderen eher geringer war, herrscht zwar die „Ostperspektive“ vor, aber dennoch weiß ich jetzt auch über die „Westperspektive“ viel mehr als vorher.

Insgesamt interessiere ich mich ohnehin schon ziemlich lange für die Zeit vom 2.Weltkrieg bis zur Deutschen Wiedervereinigung und begrüße es daher immer sehr, neue bzw. andere Perspektiven auf diese Zeit zu bekommen oder neue Dinge über veschiedene Ereignisse dieser Zeit zu lernen.